«Bitte macht keine Umstände wegen uns und geht noch extra Fleisch kaufen. Wir haben genügend Essen in unserem Auto und benötigen nichts», – so versuchen wir uns aus der Schlinge zu ziehen, denn in jedem Land ist es eine grosse Ehre, zum Essen eingeladen zu werden, und solch authentische Erlebnisse gefallen uns sehr. Leider schwingt aber latent das Risiko einer Infektion mit, insbesondere wenn die Verhältnisse so einfach sind wie hier im Haus von Dacio und Teodora in Cochas Chico.
«Überhaupt keine Umstände sind das, sondern el cariño peruano! Meerschweinchen haben wir zur Genüge. Die züchten wir zum Verzehr », — und das wiederum ist typisch peruanisch. Das cuy wird überall als Delikatesse zubereitet und besonders hervor gehoben, dass dieses Fleisch kein Cholesterol enthalte. Wohl so manchem Schweizer Kind würde das Herz still stehen, wenn es erführe, wie sein geliebtes Haustier hier endet.
Die Tochter unserer Gastgeber, Julia, wird das Essen zubereiten, und Dacio bringt die cuys mit. Also gehen wir in den Stall, wo Dacio die drei dicksten Meerschweinchen in eine Tasche packt, in der sie transportiert werden. Auf Julias Balkon werden sie mindestens eine halbe Stunde auf ihr Schicksal warten müssen — so lange bis die Köchin bereit ist.
In der Zwischenzeit führt uns Dacio in sein Kunsthandwerk des, salopp übersetzt, Kürbis-Schnitzens ein. Er nimmt einen getrockneten Zierkürbis und beginnt im obersten Drittel zwei feine Ringe einzuritzen. Ohne irgendwelche Vorlage oder Hilfslinien zieht er mit seinem spitzen, dreikantigen, nagelähnlichen Werkzeug regelmässige Linien.
Wir sind hier, weil wir der Einladung folgten, welche Dacio auf der Plaza in Ayacucho (siehe Blogeintrag Über den Dächern von Ayacucho) spontan ausgesprochen hatte und uns gwundrig machte für seine Kunst, die er mit 12 Jahren erlernt hatte und seither im Nebenerwerb praktiziert. Zudem hat er seine 10 Kinder ausgebildet, und die meisten verdienen heute ihr Geld damit.
Nebenan steht derweil eine Pfanne mit kochendem Wasser steht beim Waschbecken. Das Messer wird auf dem Stein geschärft. Es kann losgehen. Julia schneidet dem ersten cuy die Kehle durch. Viel Widerstand gibt es nicht mehr, weil sie das Tier geschickt aus der Tasche nimmt und festhält. Kurzes ausbluten, dann eintauchen ins heisse Wasser. Nach 30 Sekunden kurz in kaltem Wasser schwenken. Mit blossen Händen kann nun die Expertin das Fell problemlos entfernen. Dem nackten Meerschweinchen wird nun der Bauch aufgeschnitten und danach der Kopf abgetrennt, zuvor die Zähne mit dem Messerrücken rausgehauen. Die gringa (Jeannine) wird geprüft und soll nun Hand anlegen, damit kein einziges Organ verletzt wird. Die Gallenblase trennt Julia heraus, spült sie und schluckt sie hinunter. Diese schmecke bitter, soll aber, besonders für Frauen in Menopause, gesund sein. Herz, Lunge, Magen, Nieren und Leber wandern in ein Töpfchen, die Därme in ein anderes. Das Tier wird nun in sechs Teile zerschnitten und landet im caldo, wo es eine gute Stunde gart. In der Brühe kochen auch Gewürze und fein geschnittenes Gemüse mit.
Die Fortschritte beim Kürbis lassen uns staunen. Bereits ist eine Herde Vicuñas entstanden, Enten schwimmen in einem Teich und eine traditionell gekleidete Frau mit ihrem auf den Rücken gebundenen Säugling sind zu erkennen.
Für die schmackhafte Sauce werden die Innereien zusammen mit dem aji colorado püriert, mit etwas Brühe und viel Zwiebel versetzt. Darin köcheln nun die gebratenen Meerschweinchen. Dem caldo werden Kartoffeln und Suppenbeilage zugegeben. Dies wird unser erster Gang sein.
Um das traditionelle Mittagessen am Familientisch zu geniessen, unterbricht Dacio seine Arbeit. Es werden weitere 15-20 Stunden in die Fertigstellung dieses Kunstwerkes fliessen. Insbesondere der Prozess des Färbens (mit einem Lötkolben) ist aufwändig.
Nützliches Vokabular
el cariño — Zuneigung / Sorgfalt
el cuy — Meerschweinchen
la gringa — Hellhäutige
el caldo — Brühe / Bouillon
el aji colorado — tiefrote Paprikaschoten (colorado = rot, colorido = farbig)
el mate — Kürbisgefäss in dem der Mate getrunken wird
la buriladura — Gravierarbeit (burilado = graviert)
Wow
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meerschweinchen, hunde und katzen sind auf jeden fall nachhaltiger als die tiere aus unserer massentierhaltung!
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Hallo Einsiedler. Willkommen bei doscachitos. Du hast absolut recht mit Deiner Bemerkung. Allerdings habe ich weder bewusst Hunde noch Katze gegessen bis heute. Was nicht ist, kann noch werden.
Gruss
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Hallo Oliver & Jeanine
Schade dass ihr das Meerschweinchen zäh fandet – das war bei uns nicht der Fall.
Was mich am Cuy mehr störte, dass waren die kleinen Knochen, ähnlich wie bei der Wachtel, deshalb bestelle ich das nächste Mal einfach 20 Filets 😉
Vielleicht gebt ihr dem Cuy bei der Rückreise in Peru nochmals eine Chance. Es ist vor allem eine Spezialität in Arequipa (neben vielen anderen leckern Sachen).
Lg Dieter
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Hallo Dieter
Hmm, wann hast Du Deine Cuy-Erfahrungen gemacht? Ja, wir werden ihm eine weitere Chance geben, aber eigentlich war diese Erfahrung schon besser als diejenige 2006, als wir es als gegrillte Variante assen (in der Region Arequipa). Ich fand es in der Salsa colorada besser. Unsere Gastgeber hatten uns verschont mit Knochigem, uns die tollen Stücke vorgelegt und selbst lange jedes einzelne Knöchelchen abgenagt. Da blieb wirklich gar nichts dran …
Lieber Gruss
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Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass mir das Kürbisschnitzen mehr zusagte als das Zubereiten des Essens. Und wenn ich das so sehe verstehe ich, dass ihr versucht seit, die Einladungen jeweils abzulehnen. Mein Magen hätte da vermutlich auch seine Probleme und ein „Snäpschen“ kann dann vermutlich auch nicht mehr helfen.
Hebät Sorg und Witerhin ä schöni Reis ohne Zwüschäfäll.
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Salut Stefan
Ich habe es eben geschätzt, dass wir von A bis Z dabei sein konnten und ich das involvierte Risiko abschätzen konnte. Ich hatte wirklich wenig Bedenken. Am ehesten noch beim Geschirr. Wenn aber mal was richtig daneben geht mit der Hygiene, nützt auch das Schnäpschen nicht mehr, das siehst Du richtig.
Schöns Wuchenänd und Gruss
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